Streitlustige News vom ZDF

Das ZDF strebt an, im Nachrichten-Wettbewerb mit ARD und RTL die Nase wieder vorne zu haben. Dazu stellte Elmar Theveßen, ZDF-Vizechefredakteur und Leiter der Hauptredaktion Aktuelles (u.a. „heute“, „heute journal“), am 31. März in Berlin ein neues Konzept auf Basis der bereits durchgeführten Kursänderung für das Hauptprogramm des Mainzer Senders vor. Das einstige Konzept der von Robotern in der „grünen Hölle“ gesteuerten 3D-Erklärräume ist demnach passé. stattdessen werden prägnante News angestrebt, die mit Hilfe von Social Media „Debatten anregen“ sollen.

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Streitlustige News vom ZDF

Zur Erinnerung: Zweimal ist es dem ZDF-Polit-Magazin „heute journal“ in der jüngeren Vergangenheit gelungen, sowohl in der Presse wie auf Online-Plattformen eine hohe Diskussionswelle über die eigene Machart anzustoßen. So hat Moderatorin Marietta Slomka Ende letzten Jahres den SPD-Chef Sigmar Gabriel mit sich wiederholenden kritischen Fragen zur vermeintlichen Unrechtmäßigkeit des SPD-Mitgliederentscheids (ob man eine große Koalition wolle) so sehr gepiesackt, dass Gabriel schließlich nicht mehr politisch argumentierte, sondern die Interviewfragen als „Blödsinn“ und „Quatsch“ bewertete. Eine ähnlich kantige Position nahm dann Moderator Claus Kleber Ende März anlässlich der Krim-Krise im Interview mit Siemens-Chef Joe Kaeser ein. Dem warf Kleber vor, dass sein aktueller Besuch bei Russlands Präsident Wladimir Putin kontraproduktiv zu den politischen Interessen Deutschlands sei. In diesem Fall mischte sich dann sogar der in der Meinungs-Elite einflussreiche FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher mit einem großräumigen Kommentar ein. Er geißelte den Interview-Stil von Kleber als ein Beispiel für den derzeit grassierenden „Echtzeit-Eskalationsjournalismus“. Beide Interviews hatten blitzschnell insbesondere auf den Social Media-Plattformen Furore gemacht, sind viel angeklickt und inhaltlich kontrovers diskutiert worden. Zwar räumt Elmar Theveßen die bedrückende Existenz des Phänomens eines ausufernden „Echtzeit-oder Erregungsjournalismus“ ein. Doch Klebers Interview sei mitnichten dafür ein Beispiel gewesen. Im Gegenteil. Es habe sich um „legitime Fragen eines Interviews mit Ecken und Kanten“ gehandelt, sagte er: „So wie es sein soll“. Programmatisch hinsichtlich seiner ZDF-Hauptabteilung Aktuelles fügte Theveßen hinzu: „Wir wollen keine rundgelutschten Programme haben, an denen sich niemand reiben kann“.

Neuer Newsroom

Tatsächlich ist gerade das Kleber-Interview für Theveßen ein Beispiel, wie man über Social Media-Plattformen „Debatten veranstalten“ kann. Social Media sei „ein Schatz“, der noch „zu wenig“ für die ZDF-Marke „heute“ genutzt werde, obwohl man viele Anhänger zähle: 33.000 User bei Twitter, 168.000 bei Facebook, 40.000 bei YouTube, insgesamt fast eine „Viertelmillion User“ fasste Theveßen zusammen. Und dieses User-Potential plant er in Zukunft auch verstärkt für die Popularisierung der Marke „heute“ zu nutzen.

Aber der Reihe nach. Der Termin, um Überlegungen für ein neues ZDF-Nachrichtenkonzept öffentlich zu machen, war zeitlich gut gelegen. Nachdem die „heute“-Nachrichten jahrelang den Marktanteilen von „Tageschau“ und „RTL Aktuell“ hinterher liefen, konnte Theveßen immerhin für die ersten beiden Monate in diesem Jahr „einen Gleichstand“ im durchschnittlichen Marktanteil (16,1 Prozent) beim Gesamtpublikum als Erfolg vermelden, – wohlgemerkt: „erstmals seit 2004“. Wobei man aber, wie er sagte, „bescheiden“ bleibe und einräumte, dass zwar alle Nachrichtenformate in den vergangenen Jahren Zuschauer verloren haben, die ZDF-Nachrichten „heute“ aber am meisten. Um die Marktanteil-Schere mit den wichtigsten Konkurrenten wie ARD und RTL wieder schließen zu können, habe man bereits in jüngerer Vergangenheit allerlei Veränderungen am Nachrichtenformat „heute“ durchgeführt.

So habe man die Wiedererkennbarkeit der Marke „heute“ durch „kräftigere Farben und Scheibenoptik“ verbessert. Aus den 2009 mit viel Stolz und Euphorie verkündeten 3D-Erklärräumen, wofür das von Robotern gesteuerte virtuelle Studio („grüne Hölle“) eingerichtet worden war, sind mittlerweile prägnante, schnell einsetzbare 3D-Grafiken geworden. Man hat die entsprechende Computertechnologie nun in den Newsroom integriert, der räumlich drei Etagen über der grünen Hölle angesiedelt ist. Die Technik ist so angepasst worden, dass die „Speed-Grafiken 3D“ (Theveßen) nun kompatibel sowohl für den Einsatz im linearen TV wie im Web sind. Überhaupt, so Theveßen, sei der Newsroom mittlerweile darauf angelegt, „vieles zu integrieren, was früher getrennt war“. Dazu gehört auch der News-Desk, wo „alle bildlichen und logistischen Informationen des Tagesgeschehens zusammen laufen“. Dabei seien jetzt auch die Redaktions-Kollegen des „International Video Desk“ mit einbezogen, die sich um das Material der Partner-EBU-Anstalten und von anderen Sendern wie Al Jazeera, CNN oder NBC kümmern. Erstmalig sind nun im Newsroom ebenso die Kollegen aus dem Archiv, Text und Bild, dabei, die laut Theveßen früher räumlich weit getrennt auf anderen Etagen angesiedelt waren.

Mobil präsent dank Social Media

Zu Jahresbeginn, das stuft Theweßen als „besonders wichtig“ ein, seien die Online-Kollegen von „heute.de“, die zuvor in der ZDF-Hauptabteilung „Neue Medien“ tätig waren, in die von ihm verantwortete Hauptabteilung „Aktuelles“ gewechselt. Ein weiterer Integrationsschritt, der im Newsroom stattfindet, wo nun 90 Mitarbeiter, die ursprünglich aus dem TV-Bereich stammen, und rund 20 Mitarbeiter aus dem Online-Bereich künftig an einem Strick ziehen sollen. Wobei die Zusammenführung neben konzeptionellen Gründen natürlich auch Vorteile in Bezug auf eine Kostenersparnis habe, da die Doppelanfertigung von Inhalten für TV und Web in vielen Fällen entfalle. Als Beispiele dafür nennt Theveßen den „Nachrichtenticker“ und das Web-Format „heute in 100 Sekunden“. Ebenso strebe man bei der Fertigung der Hintergrundberichte eine „noch engere Verzahnung“ an. Man wolle die TV- und Web-Kollegen in Teams mischen und rotieren lassen. Wobei gleichwohl, wie Theveßen meint, „die Expertise für die unterschiedlichen Plattformen nach wie vor wichtig“ bleibe. Zum Beispiel sei ein spezielles Know-How erfoderlich, um Social Media optimal einzusetzen und zu pflegen.

Perspektivisch jüngere Zuschauer gewinnen

Hauptziel des Zusammenrückens von TV- und Online- samt Social Media-Redaktionen im Newsroom ist es, dank der Marke „heute“ über den ganzen Tag mit ZDF-News präsent zu sein und perspektivisch mit einer neuen Präsentationsweise für News auch jüngere Zuschauer und User gewinnen. Man wolle insbesondere ein neues „Look und Feel für Kurznachrichten“ entwickeln, „das auf mobilen Geräte ankommt“. Hier schwebt Theveßen eine enge Zusammenarbeit seines gesamten Teams vor, bei der Social Media als ein zusätzlicher „Ausspielweg“ für News betrachtet wird. Auf diese Weise wolle man verstärkt in die Kommunikation mit dem User eintreten und dabei dessen „Feed Back mit einbeziehen“.

Was Theveßen allerdings dazu erläutert, klingt erst einmal ähnlich wie die einstige „3D-Erklärraum“-Idee wie eine theoriebestimmte Kopfgeburt. Man könne beispielsweise die redaktionelle Planung für die Hauptausgabe von „heute“ um 19.00 Uhr bereits morgens im Netz veröffentlichen, um dazu Meinungen und Anregungen von den Usern einzuholen, auf die man wiederum im Verlauf des Tages, wenn sich die Planung verändere, reagieren könne. Oder, so Theveßen: Die Moderatoren könnten mit eigenen Twitter Accounts schon mal ins Netz gehen, um Feed Back von den Usern einzuholen. Ganz konkret könne man etwa den Usern die ethische Frage stellen, ob – wie es geschah – die Angehörigen der Opfer des malaysischen Unglücksflug MH72 in ihrem Leid gezeigt werden sollen oder nicht. Oder ob man die Brutalität des Syrien-Krieges in eben solchen Bildern anschaulich machen solle? Dabei hat sich Theveßen die potentiell neuen News-Präsentationen rund um Social Media gar nicht einmal selber ausgedacht, sondern diese Feedback-Aktionen seien, wie er sagt, bei Al Jazeera und NBC schon längst Usus. Besteht bei einem solchen Vorgehen aber nicht die Gefahr der Vermischung von News und Meinung? Theveßen räumt ein, dass auch „von unserer Seite aus die Gefahr“ bestehe, Social Media als „Meinungsmedium zu begreifen“. Allerdings habe das ZDF – außer in Kommentaren – nicht vor, Meinungen zu verbreiten, sondern diese von den Usern einzuholen. Das sei ähnlich gelagert wie die ins Bild gesetzten Straßenumfragen zu einem Sachverhalt, die man immer schon auch in die Berichterstattung einfließen lasse. Doch ganz klar versucht das ZDF in seiner Nachrichtenpräsentation dem Volk mehr und mehr aufs Maul zu schauen, und so mehr Klar-Text und -Bild zu bringen.

Neues News-Jugendformat

Wer die „heute“-Hauptausgabe mal im Netz zeitversetzt abruft, weil man sie schon lange nicht mehr um 19.00 Uhr live eingeschaltet hat, stellt fest: Die ZDF-Nachrichten sind schneller, prägnanter, mehr dynamisch in den Bildern und der grafischen Gestaltung geworden. Es wird schlicht gemeldet, dabei aber eben auch mehr Klartext verwendet. Auch gibt es, was auch Theveßen erwähnte, mittlerweile einen Sportblock, der nicht nur über die derzeit beim ZDF beheimatete Fußball Champions League, sondern auch über andere Sportarten wie Tennis berichtet. Das alles kommt eher dem Stil von „RTL aktuell“ als dem derzeit immer noch eher statischen Berichtswesen-Prinzip der „Tagesschau“ näher.

Aber trotz der gelungenen Aufholjagd im Marktanteil ist „heute“ dem Problem treu geblieben, im TV kaum jüngere Zuschauer anzusprechen. Vielmehr liegt das Durchschnittsalter der „heute“-TV-Seher sogar noch weit über dem ZDF-Altersschnitt von 61 Jahren, weiß Theveßen zu berichten. Zwei Gründe nennt er dafür. Zum einen sei der Sendeplatz für den schnellen Nachrichtenüberblick, wie ihn „heute“ um 19.00 Uhr bietet, ungünstig, wohl weil er genau zwischen dem entsprechenden Angebot von RTL (19.45 Uhr) und ARD (20.00 Uhr) liegt. Damit zusammenhängend nennt Theveßen als zweiten Grund, dass das ZDF-Programmumfeld von „heute“ in Bezug auf die Ansprache von Jüngeren weniger attraktiv sei als das die News umrankende Programm von RTL. „Wegen des ZDF-Programms werde „heute“ wohl immer „deutlich hinter“ RTL aktuell bleiben. Wobei Theveßen gegen Ende des Hintergrundgesprächs beiläufig konkreter wird. Es ist nicht die vor „heute“ werktäglich geschaltete ZDF-Soko-Krimi Reihe, die ZDF-Zuschauer zu anderen Sendern treibt, sondern der Werbeblock, der darauf folgt. Was das ZDF ja ändern könnte, wovon aber Theveßen, wie er zumindest vorgab, noch nicht zu träumen wagt.

Mehr Erfolg als „heute“ beim jüngeren Publikum – wenn auch insgesamt weniger Zuschauer – hat das „heute journal“ auf seinem Sendeplatz um 21.45 Uhr. Zu diesem späteren Zeitpunkt seien Zuschauer interessiert, Hintergründe zu der aktuellen Nachrichtenlage zu erfahren, weiß Theveßen aus der Medienforschung. Und im Gegensatz zu „heute“ weise das Politmagazin häufig den jüngsten Altersdurchschnitt im Vergleich mit dem ZDF-Gesamtprogramm aus. Ergo: Um mehr jüngere Zuschauer im TV mit ZDF-Nachrichten einzufangen, hat Theveßen deshalb geplant, das Format „heute nacht“ (0.30 Uhr) in ein spezielles Angebot für Jüngere umzuwandeln. Angepeilt damit werden Zuschauer im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Das neue Angebot wird wahrscheinlich 2015 gestartet.

Derweil bekundet Theveßen Respekt vor der Konkurrenz. „RTL bringt ein Gutteil guter Nachrichten“, räumte er überraschend ein. Und wenn „ARD aktuell“ demnächst mit dem technologisch getriebenen Relaunch der „Tagesschau“ auf den Schirm gehe, rechne er damit, dass die „Tagesschau“ einen „neuen Schub“ bekomme. Was tun? Offensichtlich möchte das ZDF mit pointierten, streitlustigen Nachrichten gegen halten.
Erika Butzek

(MB 3/14)

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