Alle ziehen an einem Strang

ARD und ZDF haben bei der Übertragung der FIFA-Fußball-WM 2014 in Brasilien wieder ihre produktionstechnischen Ressourcen geteilt und enger zusammen gearbeitet denn je. Genutzt wurde auch eine gemeinsame Präsentationsplattform an der Copacabana. MeBuLive war in Brasilien und konnte einen Blick hinter die Kulissen werfen.

6
Alle ziehen an einem Strang

Großen Aufwand mussten ARD und ZDF treiben, um die Spiele der FIFA WM 2014 zu übertragen. Die zwölf in ganz Brasilien verteilten Spielstätten, örtliche Infrastrukturprobleme aber auch die Sicherheitslage in Brasilien stellten die öffentlich-rechtlichen Sender vor besondere Herausforderungen. Um Synergien zu nutzen und Kosten zu sparen, arbeiteten sie bei der Produktion, der Bereitstellung der technischen Infrastruktur und im Studiobereich deshalb noch enger zusammen als je zuvor. Turnusgemäß hatte der SWR dabei als ARD-Federführer auch die Gesamtfederführung für ARD und ZDF. Als Teamchef der ARD in Brasilien zeichnete Bertram Bittel, Direktor Technik und Produktion des Südwestrundfunks, verantwortlich, als ZDF-Teamchef Sportchef Dieter Gruschwitz. ARD und ZDF übertrugen vom 12. Juni bis 13. Juli im Wechsel alle 64 Spiele der „Copa do Mundo” in Brasilien live, inklusive der parallel angesetzten Begegnungen an den abschließenden Vorrundenspieltagen. Die attraktiveren Matches an diesen Tagen wurden im Hauptprogramm gesendet, die Parallelbegegnungen bei ZDFinfo oder Einsfestival.

Hauptquartier von ARD und ZDF war in Brasilien das International Broadcast Center (IBC) auf dem Messegelände Riocentro im Barra da Tijuca. Hier belegten ARD und ZDF mit 2.250 Quadratmetern die größte Fläche aller dort untergebrachten FIFA-WM-Rechtehalter – 1.900 Quadratmeter für Fernsehen und 350 für Hörfunk. Untergebracht waren hier unter anderem Hauptschaltraum, Senderegie, Ingest- und Playout, 13 Schnittplätze, zwei Audiomix-Räume, Sprecherstudios sowie weitere Redaktions- und Büroräumlichkeiten.

Erstmals bei einer Fußball-WM präsentierten ARD und ZDF die Sendungen von einem gemeinsamen Studio aus, das nicht im IBC in unmittelbarer Nähe zur Regie untergebracht war. Genutzt wurde stattdessen eine Moderationsplattform, die sich rund 35 Kilometer entfernt in den obersten beiden Etagen eines Apartementhauses am südlichen Ende der Copacabana befand und von der IBC-Regie über Glasfaseranbindung fernbedient wurde. Vom angemieteten privaten 1.000 qm Apartement mit umlaufender Dachterrasse hatte man einen herrlichen Blick über die ganze Copacabana. Auf Grund der extremen Verkehrssituation in Rio de Janeiro benötigte man allerdings per Taxi oder Shuttlebus meist über zwei Stunde, um von dort zum IBC nach Barra oder von dort wieder zurück zu gelangen. Die ARD/ZDF-Teams von der Copacabana und vom Sendezentrum im IBC wohnten dann auch meist in der Nähe ihres Arbeitsplatzes und vermieden Fahrten zwischen den beiden Produktionsstätten. Zwangsläufig sahen sie sich eher selten.

Technisch ausgestattet war die IBC-Sendeabwicklung mit Equipment aus der gemeinsamen Mobilen Produktionseinheit (MPE) von ARD und ZDF. Die Geräte waren direkt nach dem Ende der Olympischen und Paralympischen Winterspiele in Sotschi in zehn Containern per Schiff auf den Weg nach Brasilien geschickt worden. Ergänzt wurde die MPE durch angemietetes Material, wie Monitore, Konverter, EVS-Maschinen, Avid-Schnittplätze, Kameraoptiken und Kommandosprechstellen. Das meiste Zusatzmaterial wurde von Wellen[&]Nöthen ebenfalls per Seefracht geliefert. Die Arbeitsteilung der öffentlich-rechtlichen Sender sah wieder so aus, dass sich das ZDF um alle IBC-Belange, die MPE-Planung und die nötigen Anmietungen des Zusatzequipments kümmerte und die ARD um alle Venues, Ü-Wagen und SNGs. Die technische Leitung für die ARD lag in den Händen von Carsten Higler, Abteilungsleitung Außenübertragung Hörfunk/Fernsehen beim SWR und von Florian Rathgeber, Geschäftsbereich Produktions- und Sendebetriebe, Team Sonderprojekte des ZDF sowie von Vito Zoiro, beide technische Leiter des ZDF.

„Wir produzieren hier komplett im Landesformat 1080i 59,94 Hz und wandeln in 1080i/50 für Deutschland“, sagt Rathgeber. Zur Signalwandlung auf der Hauptsendeleitung wurden drei angemietete Alchemisten von Snell verwandt, zur Formatkonvertierung auf den Playout- und Return-Leitungen die neuen Snell KudosPro, die den Mach HD abgelöst haben, und für Signale, die qualitativ nicht so hochwertig sein mussten, weil sie nicht über den Sender gingen, Teranex 2D- und Teranex 3D-Konverter von Blackmagic Design. Tonseitig produzierten die beiden Sender in Dolby 5.1.

DFB-Quartier

„Für die Berichterstattung aus dem DFB-Quartier in Santo André, Bahia, gab es ebenfalls ein identisches redaktionelles und technisches Konzept bei ARD und ZDF. Hierbei kam eine mobile Regie mit Komponenten von WDR, SWR und der MPE zum Einsatz“, erklärt Bittel. Die Planung und die personelle Betreuung wurden durch den WDR realisiert. Im Produktionskomplex rund 300 Meter neben dem DFB-Quartier arbeiteten mit Redaktion fast 100 Leute von ARD und ZDF. Es gab dort zwei Regien, um für die aktuellen Sendungen und Sportprogramme von ARD und ZDF auch parallel arbeiten zu können. Vor Ort gab es unter anderem sechs Avid-Schnittpätze, ein Avid ISIS Serversystem, EVS Maschinen, Drahtloskameras und mehrere Moderationspositionen. Die Leitungsanbindung erfolgte über die EBU via Richtfunk und Glasfaserleitung. Hinzu kam ein Backup via Satellit. Eingesetzt wurden in Brasilien zudem zwei von Satcom aus Heusenstamm angemietete SNG-Fahrzeuge, jeweils ausgestattet mit zwei Kameras und zwei Schnittplätzen, um vom DFB-Quartier und von den Spielstätten der deutschen Mannschaft zu berichten. Auch zwei von HDSigns aus München angemietete Ü-Wagen (Ü1 und Ü3) waren zur Fußball-WM für ARD und ZDF im Einsatz. Eingesetzt wurden sie für die Produktion der unilateralen Signale der deutschen Spiele, des Halbfinales, des Spiels um Platz drei und des Finales. Für die beiden Ü-Wagen und die Berichterstattung aus den Stadien wurden zwei Technikteams von ARD und ZDF eingeflogen. Acht zusätzliche Kameras standen für Interviews und Analysen zur Verfügung.

Gemeinsame Präsentationsplattform

ARD und ZDF hatten in Brasilien auch einige EB-Teams am Start, die für die aktuelle Berichterstattung produzierten. Dazu gehörten bei der ARD auch vier sogenannte „Smarte Teams“– ein Kameramann plus Cutter –, die nur mit einer Sony PMW 300 und einem Laptopschnittplatz durch die Lande zogen und Beiträge vor Ort erstellten. Diese wurden dann per Filetransfer oder Venue-Playout ins IBC überspielt. Ein EB-Team der ARD war mit der als „Deutschland sucht den Superstar“-Jurorin bekannte Brasilianerin Fernanda Brandão unterwegs, die mit viel Charme, Witz und Fachkenntnis den Zuschauern Land, Leute und brasilianische Fußballbegeisterung näher brachte.

Die Präsentationsplattform („Terrasse“) an der Copacabana verfügte über sieben Kameras, darunter eine Steadycam, eine Polecam, drei Kameras mit unterschiedlichen Brennweiten auf Stativen, davon eine mit einer großen Zoom-Optik (Grass Valley LDX mit Reflex Superexpander und Fujinon Digipower99), sowie zwei drahtlose Kameras am Strand, auf der Promenade und beim drei Kilometer von der Terrasse entfernten Fanfest, die dort die Atmosphäre einfingen. Die Kameras auf der Dachterrasse wurden von der Bildtechnik vor Ort ausgesteuert.

Das Copacabana-Studio von ARD und ZDF verfügte über einen beim Hostbroadcaster HBS angemieteten Zwei-Gbit/s-Glasfaseranschluss zur Kopfstelle der nahegelegenen HBS-Studiobrücke, in der sich neun Studios anderer Sender (u.a. Al Jazeera und BBC) befanden. Die HDSDI-Leitungsanbindung zum IBC realisierte VIDI. Das Darmstädter Unternehmen war für HBS auch in Sachen Venue-Kontribution aktiv und sorgte unter anderem für die Anbindung FIFA-Studios und -Flash-Positionen.

Die Audioanbindung der Terrasse zum IBC erfolgte mit Lawos V_link 4-System über eine 200 Mbit/s Strecke. Damit wurde die Umsetzung von MADI-Glasfaseranbindung auf IP und zurück auf Glasfaser realisiert. Vom Lawo-Tonpult im IBC konnte zudem die Mischung an einem Lawo Sapphire-Pult auf der Terrasse ferngesteuert werden. „So haben wir es geschafft, die In-Ear-Signale der Moderatoren ohne Laufzeit-Verzögerungen hinzukriegen,“ erklärt Carsten Higler. Den Tontechnik-Kollegen im IBC hätte das die Arbeit erheblich vereinfacht. Bei den Schaltungen zu den Reportern am Strand, den Moderatoren auf der Dachterrasse oder auch zu denen im DFB-Quartier, 500 Kilometer nördlich von Rio, seien „keine spürbaren Latenzen“ zu verzeichnen gewesen. Higler: „Das hört sich an, als ob das Studio hier direkt neben an ist.“ Er lobt das neue IP-basierte Konzept von Lawo als sehr innovativ und betont: „Es funktioniert prima. Aber auf solche Lösungsansätze kommt man erst, wenn man sich intensiv mit solchen Projekten wie dem unseren beschäftigt und versucht, alle Anwendungen durchzuspielen – von Regie-Besprechungen bis hin zur In-Ear-Versorgung.“ Das System sei natürlich auch adaptierbar auf größere Strecken. Bei via IP-gerouteten Verbindungen sei es letztlich egal, ob sie über 30 oder über 3.000 Kilometer reichen würden. Für Remote-Produktionen bedeute dies einen wichtigen Schritt vorwärts. Allerdings seien mit Remote-Produktionen auch noch Workflow-Probleme verbunden. Man müsse erst lernen, damit umzugehen und weitere Erfahrungen sammeln.

„Durch den Einsatz der gemeinsamen Präsentationsplattform und der Remotelösung konnte eine wegweisende kostengünstige Lösung realisiert werden“, erklärt ARD-Teamchef Bittel. Eine vergleichbare kostengünstige Lösung kam ebenfalls beim ARD-Hörfunk zum Einsatz. Auch hier setzte man auf eine Remote-Regie, die in der Heimatredaktion am SWR-Standort Baden-Baden integriert war. Gespart wurde laut ZDF-Produktionsdirektor Dr. Andreas Bereczky auch bei den Videoleitungen von der Dachterrasse an der Copacabana ins IBC. „Wir haben hier zwar sieben Kamerasignale aber nur fünf Videowege. Das ist ein Flaschenhals“, sagt er. In der Regie müsse immer eine Auswahl getroffen werden, welche Kamerasignale auf den verfügbaren fünf Senken liegen sollten. Das bedeute erhöhten Kommunikationsaufwand zur Bildtechnik auf der Terrasse. Da die Kreuzschienen auf der Terrasse und im IBC nicht verkoppelt waren, konnte man vom IBC aus die entsprechenden Schaltungen nicht selber vornehmen. „Die Remote-Technik kann viel aber im Detail stolpert man immer wieder über den ein oder anderen Anwendungsfall, an den man nicht gedacht hat. Wir lernen so gesehen hier viel dazu“, meint Joachim Höld von der SWR-Abteilung Planung Audio, Außenübertragung Hörfunk und Fernsehen, der die Terrasse als technischer Leiter betreute.

Ncam-System

Innovativ zeigten sich ARD und ZDF in Rio durch den erstmaligen Einsatz des virtuellen Tracking-Systems Ncam – live und unter freiem Himmel auf der Terrasse. Damit konnten virtuelle Grafiken in das Realbild der Präsentationsplattform eingeblendet werden. Vizrt fungiert dabei als Vertragspartner für ARD und ZDF. Ncam wurde vom IBC aus über die Glasfaseranbindung remote gesteuert. Tracking-System und -Kamera mit der entsprechenden Sensorik waren zwar auf der Terrasse, die Grafiken wurden aber am Vizrt-Rechner im IBC generiert. Die Rathgeber betont: „Das, was ARD und ZDF hier machen, unterscheidet sich ganz klar von der FIFA WM 2010. In Südafrika haben wir noch versucht mit fünf Ü-Wagen einen ganze Menge Spiele selbst abzudecken. Wir hatten auch eine eigene Glasstudio-Präsentation in den Stadien. Durch die gemeinsame Präsentationsplattform an der Copacabana ist das völlig zurück genommen worden. Mit den zwei Ü-Wagen decken wir nur die deutschen Spiele ab. Präsentiert werden die Spiele ausschließlich von der Terrasse. Ansonsten helfen wir uns mit den von HBS angebotenen Services.“ Um günstiger zu produzieren haben ARD und ZDF die Wertigkeit der Spiele in drei Kategorien eingeteilt. In die C-Kategorie fallen die Spiele, die komplett ohne unilaterale Technik mit nur einem Reporter vor Ort produziert wurden. Bei C+ wurde der Reporter um eine EB-Kamera in der Flash-Zone ergänzt (HBS Booking Item). In der B-Kategorie kam das erstmals von HBS angebotene Zwei-Kamera-Kit zum Einsatz. „Auch das spart eigene unilaterale Technik. Wir waren bei Spielen der B-Kategorie mit nur ein oder zwei Kameraleuten und einem Reporter vor Ort. Das Zwei-Kamera-Kit haben wir bei HBS insgesamt achtmal gebucht“, erzählt Rathgeber. In die A-Kategorie der ARD/ZDF-Berichterstattung fiel schließlich die Produktion mit eigenem Ü-Wagen und eigener Crew. Bereczky meint: „Uns war von Beginn an klar, dass wir bei der Größe des Landes und den zwölf verteilten Spielorten nicht überall präsent sein konnten. Deshalb auch die Konzentration auf Rio und die gemeinsame abgesetzte Präsentationsplattform.“ Rathgeber ergänzt: „Durch die gemeinsame Moderationsplattform und die Entscheidung mit der Präsentation nicht in die Stadien zu gehen ist ein erhebliches Einsparpotential verbunden. Und durch die bei HBS gebuchten Positionen konnten wir trotzdem das Gefühl vermitteln, dass wir noch eine Stimme im Stadion haben. Dadurch konnte die Manpower in allen Bereichen reduziert werden. Auch redaktionell wurde hier gespart. Nur Weglassen und Verzicht auf unilaterale Präsenz spart Geld. Die Redaktionen denken da heute schon sehr verantwortungsbewusst.“ SWR-Mann Höld lobt die hervorragende Zusammenarbeit aller an der FIFA WM-Produktion Beteiligten. „Bei solchen Großveranstaltungen müssen sehr viele Gewerke unterschiedlichster Firmen ineinandergreifen. Vorteil ist, man kennt sich gut und wir ziehen auf Technikebene alle an einem Strang.“ Es sei ein Riesenvorteil, dass man bei ARD und ZDF bei so Projekten immer mit den gleichen Leuten zusammen arbeiten könnte.

Eurosport

Dass man jedoch auch mit deutlich weniger Aufwand als ARD und ZDF ein interessantes FIFA-WM-Programm machen kann, zeigte in Rio de Janeiro Eurosport. Der paneuropäische Sender gehörte zwar nicht zur den FIFA-Rechtehaltern für die Live-Übertragung, war aber dennoch vor Ort präsent. Eine Etage unter der ARD/ZDF-Terrasse hatte man sich in einem kleinen Privat-Apartement (125 qm) mit Balkon eingerichtet. Von hier aus wurden täglich fünf halbstündige Sendungen live gefahren. Geleitet wurde die Eurosport WM-Mission von Editorial Deputy Director Stefano Bernabino. Auf dem engen Eurosport-Balkon kamen drei Q-Ball-Remote-Kameras und einer Krankamera zum Einsatz. Im Apartement gab es eine Regie (mit Ross Carbonite 24 Input 2 M/E Videomischer), Masterkontrollraum, Technikraum, Schnitt- und Grafikraum (mit drei Avid Media Composer Schnittplätzen und Avid Xpression Grafiksystem) sowie eine Lounge für das Eurosport-Team. Der Sender war in Brasilien mit 30 Leuten aus Technik, Produktion und Redaktion vertreten. General Manager Francois Schmid meinte: „Es war für uns nicht einfach, die nötige Infrastruktur hier aufzubauen. Am Ende hat aber alles ganz gut geklappt.“

Eckhard Eckstein

MB 4/2014

Relevante Unternehmen